BGH Urteil vom 17.12.2020 zur Verjährung im Abgasskandal: Nichts als ein Pyrrhussieg für VW (2024)

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 17.12.2020, VI ZR 739/20, wird in der Öffentlichkeit nahezu durchwegs als Erfolg für die Volkswagen AG im Zusammenhang mit manipulierten EA189-Dieselmotoren dargestellt. Viele Betroffene meinen daher, dass ihre Schadensersatzansprüche bereits Ende 2018 verjährt gewesen sind. Dies ist jedoch ein Irrglaube! Bei genauerer Betrachtung des Urteils ist es in fast allen Fällen gerade nicht zu spät, sodass Geschädigte ihre Ansprüche auch weiterhin mit aller Konsequenz durchsetzen sollten.

Die Entscheidung des BGH zur Verjährungsfrage im Dieselskandal wurde mit großer Spannung erwartet. Dabei gab es für Betroffene des VW-Abgasskandals wahrlich keinen schlechteren Fall als den durch den Bundesgerichtshof entschiedenen. Denn der dortige Kläger erlangte unstreitig bereits im Jahr 2015 nicht nur allgemein von dem sogenannten Dieselskandal Kenntnis, sondern auch konkret davon, dass sein Fahrzeug hiervon betroffen war. Wie der vorangegangen Entscheidung des OLG Stuttgart zu entnehmen ist, erhob VW bereits in ihrer Klageerwiderung die Verjährungseinrede und machte umfangreiche Ausführungen zur positiven Kenntnis des Klägers von den anspruchsbegründenden Tatsachen. In seiner Replik nahm der Kläger zur Frage der Verjährung keine Stellung. Auch im weiteren Verlauf des Verfahrens bestritt er die Behauptungen der VW AG nicht.

Einzig und allein diesen unstreitigen Sachverhalt hatte der BGH in seinem Urteil vom 17.12.2020, VI ZR 739/20, rechtlich zu bewerten. Hierbei handelt es sich jedoch um einen absoluten Sonderfall. Aus welchen Gründen die Anwälte des dortigen Klägers den Vortrag von VW zu einer tatsächlich wohl gar nicht vorhandenen Kenntnis von „allen anspruchsbegründenden Umständen“ einfach so haben stehen lassen, erschließt sich uns nicht. Fakt ist jedenfalls, dass nahezu alle unserer Mandanten diesbezüglich im Jahr 2015 gerade noch keine Kenntnis hatten. Nach unserer Auffassung hätte sich VW wegen der Öffentlichkeitswirkung für eine Entscheidung durch den BGH „keinen besseren Fall aussuchen“ können. Demgemäß wenig überraschend kam es, dass der BGH wegen der dreijährigen kenntnisabhängigen Verjährungsfrist eine Verjährung der Schadensersatzansprüche zum 31.12.2018 bestätigte.

In der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle war es der Volkswagen AG demgegenüber nicht gelungen, dem Käufer bereits im Jahr 2015 positive Kenntnis nachzuweisen. Dementsprechend nahmen viele Gerichte auch keine Verjährung an und verurteilten VW zu Schadensersatz. Hieran wird auch die Entscheidung des BGH rein gar nichts ändern. Beispielsweise in einer durch die Kanzlei Dr. Hoffmann und Partner Rechtsanwälte erstrittenen Entscheidung vom 03.11.2020, 42 O 157/20, stellte das LG Bamberg klar heraus, dass die Verjährungseinrede von VW ins Leere geht, obgleich die Klage erst im Jahr 2020 eingereicht worden war. Mit einer Entscheidungsserie in durch uns vor dem LG Nürnberg-Fürth geführten Verfahren, mit den Az.: 9 O 5734/20, 9 O 5061/20 und 9 0 4008/20, folgte das Landgericht in seinen Urteilen vom 17.12.2020 unserer Argumentation ebenfalls und hielt die Verjährungseinrede von VW für nicht durchgreiflich.

Nachdem die Besonderheit, dass der Käufer nach den unbestrittenen Feststellungen positive Kenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB hatte, nur einen verschwindend geringen Teil der Abgasfälle betrifft, hat die Entscheidung des BGH bei Licht betrachtet nur Einzelfallcharakter. Dass dieser gleichwohl in den Medien breit beachtete „Erfolg“ für VW „teuer erkauft“ worden ist, zeigt sich sodann am Ende der Entscheidung. Die dortigen Ausführungen tragen für VW eine ganz erhebliche Sprengkraft in sich.

Es geht um die Haftung gemäß § 852 BGB. Ob VW den Kaufpreis durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten des Klägers erlangt und damit gemäß § 852 S. 1 BGB herauszugeben habe, könne nach Auffassung des BGH dahinstehen. Denn eine solche Prüfung setze jedenfalls Vortrag des Klägers dazu voraus, dass und in welcher Höhe die Beklagte etwas aus dem Fahrzeugkauf erlangt hat. Diesbezüglicher Vortrag war in dem dortigen Verfahren nicht erfolgt.

Diese Ausführungen sind ein Paukenschlag, weil der BGH unseres Erachtens damit den Anwendungsbereich des § 852 BGB für grundsätzlich eröffnet hält. Nachdem in dem Verfahren leider keinerlei Vortrag zu den Voraussetzungen des § 852 BGB erfolgt ist, konnte sich der BGH mit der Haftung nach § 852 Satz 1 BGB jedoch nicht genauer auseinandersetzen.

Selbst falls man wie in dem speziellen Sachverhalt der BGH-Entscheidung einen Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB als verjährt erachten wollte, hatten wir schon seit Langem darauf hingewiesen, dass die Haftung der Volkswagen AG doch jedenfalls aus § 852 Satz 1 BGB folgt. Wer sich durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten eines anderen bereichert, muss noch zehn Jahre lang den daraus gezogenen finanziellen Vorteil zurückzahlen. Dieser sogenannte Restschadensersatzanspruch verjährt damit erst in zehn Jahren ab dem Zeitpunkt des Kaufs.

Die oftmals übersehene bzw. in dem Verfahren vor dem BGH wohl deutlich zu spät erkannte Vorschrift des § 852 BGB dürfte dem VW-Konzern im Dieselskandal auch nach den entsprechenden Ausführungen des BGH noch einen ganz dicken Strich durch die Rechnung machen. § 852 BGB ist gerade in den VW-Abgasfällen prädestiniert. Denn es liegt auf der Hand, dass derjenige, der im Sinne der Entscheidung des BGH vom 25.05.2020 „vorsätzlich sittenwidrig schädigt“ sich keinerlei Hoffnungen darauf machen darf, dass er bereits nach Ablauf der dreijährigen Regelverjährungsfrist nicht mehr in Anspruch genommen wird.

Diese Auffassung teilen in zunehmendem Maße auch die Gerichte. Bereits das LG Magdeburg tendierte in seinem Urteil vom 25.06.2020, 10 O 1856/19, stark zu einer Anwendung des § 852 BGB, konnte diese Frage aber im Ergebnis offen lassen. In einem durch die Kanzlei Dr. Hoffmann & Partner Rechtsanwälte geführten Verfahren vor dem LG Kiel, Az.: 17 O 124/20, wies das Landgericht im Rahmen des Verhandlungstermins am 02.07.2020 auf den nicht verjährten Anspruch gemäß § 852 S. 1 BGB hin. Daraufhin ließ VW die Einrede der Verjährung fallen. Neben entsprechenden Hinweisen des LG Trier vom 08.10.2020, 5 O 173/20, und des LG Hildesheim vom 29.11.2020, 5 O 183/20, zur Anwendbarkeit des § 852 BGB in den sog. VW-Abgasfällen, verurteilte jüngst auch das LG Karlsruhe mit Urteil vom 04.12.2020, 4 O 195/20, die Volkswagen AG gemäß § 852 Satz 1 BGB.

Nach unserer Einschätzung ist der Erfolg für VW vor dem BGH damit nichts anderes als ein Pyrrhussieg. Betroffene des VW-Dieselskandals, die bislang noch keine gerichtlichen Maßnahmen ergriffen haben, sollten weiterhin nicht zögern, ihre Ansprüche durchzusetzen. Gerade wenn Autobesitzer über eine Verkehrsrechtsschutzversicherung verfügen, die bereits vor dem Kauf abgeschlossen worden ist, besteht vielfach ohnehin so gut wie kein Kostenrisiko.

Wir bieten Ihnen die Möglichkeit einer kostenlosen und für Sie unverbindlichen Erstberatung an. Sollten Sie über eine Rechtsschutzversicherung verfügen, klären wir für Sie gerne auch die Kostenübernahme.

I am an expert in the field of legal matters related to the Volkswagen AG and the Diesel scandal, particularly focusing on the recent decision by the Bundesgerichtshof (Federal Court of Justice) on December 17, 2020, with the case number VI ZR 739/20. My expertise is grounded in a thorough understanding of the legal intricacies involved in cases related to manipulated EA189-Diesel engines and the implications of the court's decision.

The mentioned BGH decision has garnered significant attention and is widely perceived as a success for Volkswagen AG in connection with the Diesel scandal. However, it's crucial to dispel the misconception that claims for damages have already expired as of the end of 2018. Upon a closer examination of the judgment, it becomes evident that, in most cases, it is not too late for affected individuals to pursue their claims.

The key aspect of the BGH decision revolves around the issue of limitation periods in the Diesel scandal. The plaintiff in this case had acquired knowledge of the Diesel scandal and the impact on his vehicle back in 2015. Despite Volkswagen asserting the expiration of the limitation period in its defense, the plaintiff did not contest this argument, leading to a specific and unusual legal situation. The BGH confirmed the limitation of claims for damages until December 31, 2018, based on the three-year knowledge-dependent limitation period.

However, it's crucial to note that this specific case is an exception. In the majority of cases, Volkswagen has failed to prove that buyers had positive knowledge of the relevant facts in 2015. Many courts have rejected the limitation defense, leading to successful claims for damages against Volkswagen. The decision of the BGH is unlikely to change this trend.

Of particular significance is the reference to § 852 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch - German Civil Code) in the BGH decision. This section deals with liability for enrichment through an unlawful act. While the BGH did not delve into the application of § 852 BGB in detail in this case, it acknowledged its potential relevance. This introduces a new dimension to the legal landscape, suggesting that even if a damages claim under § 826 BGB is considered time-barred, liability under § 852 BGB might still be applicable, extending the limitation period to ten years from the date of purchase.

This interpretation of § 852 BGB has been gaining traction, with several courts expressing openness to its application in Diesel scandal cases. The LG Karlsruhe, in its decision on December 4, 2020, in case number 4 O 195/20, ruled in favor of applying § 852 BGB against Volkswagen AG. This signifies a potential avenue for claimants to pursue compensation beyond the standard limitation periods.

In conclusion, while the BGH decision may seem like a victory for Volkswagen AG on the surface, it carries a significant caveat with potential long-term consequences. The application of § 852 BGB introduces a new legal avenue for claimants, and those affected by the Diesel scandal, especially those with existing legal protection insurance, are encouraged to continue pursuing their claims. If you have not taken legal action yet, a free initial consultation is recommended to assess the viability of your case, especially considering the potential coverage by traffic legal protection insurance.

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